Spionfledermäuse
wie wir
Innerhalb
von Sekunden ging die immerzu gleichbleibend strahlende Sonne unter
und tauchte die ferne Welt Notrak Husch in finsterste Nacht.
Was
dies anging, war das Universum um Notrak Husch übrigens sehr
eigenwillig. Für gewöhnlich dauerte es nur einige Sekunden, um die
Welt aus totaler Finsternis zu reißen und mit Licht zu überfluten.
Es konnte aber auch geschehen, dass die Sonne innerhalb von zwei
Sekunden nur halb aufging, verharrte, und fünf Minuten später, oder
auch fünf Tage später, zu ihrer vollen Pracht heranreifte.
Nun,
eigentlich ging die Sonne selbst aber gar nicht auf. Es hatte mehr
den Anschein als würde sich der Himmel seitwärts oder manchmal auch
horizontal öffnen, um den uneingeschränkten Blick auf die Sonne
freizugeben. Dann fluteten die ersten Sonnenstrahlen mal von links
oder rechts auf die Welt hinab, manchmal von mehren Seiten
gleichzeitig und manchmal sogar ganz plötzlich von oben herab.
Und
es kam zuweilen auch vor, dass sich auch zuerst der Himmel öffnete
und im Bruchteil einer Hundertstelsekunde danach die Sonne am
Horizont erleuchtete.
Äußerst
selten allerdings dauerte dies mehr als eine volle Minute! Und es kam
zuweilen sogar vor, dass einem vierzehn Stunden langen Tag eine zwei
Stunden lange Nacht folgte, worauf ein fünf Stunden langer Tag
folgte, dem wiederum eine sechs Tage lange Nacht folgen konnte.
In
der Welt Notrak Husch gab es keine Dämmerung und auch kein
romantisches blutrotes Feuer am Horizont, welches von der
untergehenden Sonne zeugte. In Notrak Husch wurde es schlagartig
Nacht, als wäre der Himmel nur ein Bildnis welches irrsinnig schnell
ausgetauscht wurde. Tagbild weg, Nachtbild hin. Niemand wusste genau
warum das so war. Es war einfach so.
Der
offizielle Chronist von Notrak Husch hatte in seinen unermesslichen
Archiven Aufzeichnungen, wonach der längste Tag aller Zeiten über
acht Wochen gedauert hatte und die längste Nacht über sechs Wochen.
Aus
diesem Grunde gab es auf Notrak Husch keine Uhren. Wozu auch. Selbst
wenn die Uhren zwei Uhr mittags anzeigten, konnte es von einer
Sekunde auf die andere bereits stockfinstere Nacht sein. Viele
Kleinunternehmer mussten aufgrund jener seltsamen und nahezu
unberechenbaren Tag und Nacht Verhältnisse bereits Konkurs anmelden,
da die Nachtzuschläge für solch immens lange Nächte wirklich jedes
Budget sprengten.
Aber
das war nicht das einzige Phänomen auf Notrak Husch. Es gab auch
keine Jahreszeiten. Es war grundsätzlich warm, nur manchmal etwas
zugig. Schneien tat es nie und nur alle paar Jahre regnete es mal.
Allerdings konnte man hierbei nicht wirklich von Regen sprechen, so
wie wir ihn von unserer Erde kennen. Für gewöhnlich fielen nur ein
paar Tropfen vom Himmel deren Farbe aber bei jedem Schauer eine
andere war. Es gab orangen Regen, gelben Regen, roten Regen,
schwarzen Regen, milchigen Regen und sogar durchsichtigen Regen mit
Blubberbläschen darin, welcher aus großen zylinderförmigen Wolken
herabregnete.
Stürme,
Flutwellen und sonstige Naturkatastrophen waren nicht bekannt, die
Bewohner jener Welt hatten nicht einmal den blassen Hauch einer
Ahnung davon, was Naturkatastrophen überhaupt waren!
Wie
bereits erwähnt, hatte das Universum recht eigensinnige
Vorstellungen darüber, wie es funktionieren wollte. Das erscheint
zwar unlogisch, aber aus irgendeinem Grund funktionierte es
tatsächlich!
Und
zu guter Letzt sei zu erwähnen, dass Notrak Husch eine Rechteckwelt
war. Sie hatte keine runde Form wie unsere Erde, auch war sie nicht
verbeult wie ein Meteorit oder eine Schweinshaxe oder ähnliches.
Nein, Notrak Husch war vom Himmlischen Schöpfer als perfekt
geometrische Welt geschaffen worden. Nun ja, sie hatte schon einige
Dellen, aber sie hatte auch vier gerade Seiten, zwei
lange und zwei kurze, und
vier rechte Winkel.
Und
darüber hinaus war diese Welt sehr sicher: Niemand konnte jemals vom
Rand der Welt fallen, denn sie war umgeben von hohen, im neunzig Grad
Winkel angelegten, spiegelglatten Gebirgen, welche die rechteckige
Fläche der Welt umschlossen und schützten. Die Welt selbst also war
flach.
Sie
sehen, die Definition dessen, was eine Welt ist, kann wahrlich
schwerer sein als es manchmal den Anschein hat!
Nun
gut, also Notrak Husch war eine sehr flache Welt. Rechteckig. Sehr
rechteckig. Stellen sie sich einfach eine Tischplatte vor und die
Tischkanten sind hoch und glatt und unüberwindbar. Ein Teller Suppe
könnte niemals vom Rand des Tisches fallen, weil er dann ja gegen
die hoch aufgerichtete Tischkante stoßen würde. Ähnlich ergeht es
der Welt Notrak Husch. Kein Mensch konnte vom Rand der Welt fallen,
weil er dazu erst gegen die Kanten des weltumspannenden Gebirges
prallen würde. Haben Sie es jetzt verstanden?
Nicht?
Nicht
wirklich?
Ich
sag ihnen was: Nicht schlimm. Nicht
wirklich!
Dies
sollte für den Anfang zur Erklärung von Notrak Husch reichen. Viele
seltsame Wesen bevölkerten diese Welt. Kobolde, Feen, Dämonen und
vertrottelte Halbgottheiten und alle nur erdenklichen Fabelwesen
mehr, gute wie böse, hübsche wie hässliche. Sie werden viele von
ihnen noch im Verlauf dieses Buches kennen lernen, einige vielleicht
erst später, andere hingegen wahrscheinlich überhaupt nicht. Aber
wie seltsam und unlogisch Ihnen auch einige Dinge auf Notrak Husch
vorkommen mögen, vergessen Sie niemals eine sehr, sehr, sehr
wichtige Sache:
Das
Universum hatte eigene Vorstellungen darüber, wie es funktionieren
wollte. Und es funktionierte!
Kommen
wir also zurück zum einleitenden Satz dieses Kapitels, wo unsere
Geschichte folgendermaßen begonnen hatte:
Innerhalb
von Sekunden ging die immerzu gleichbleibend strahlende Sonne unter
und tauchte die Welt Notrak Husch in finsterste Nacht. Wälder,
Gebirge, Steppen, Dschungel, Meere, Städte und Dörfer und ebenso
jene weit entfernten Regionen voller Sand und ebensolche voller
Schnee. Vom nördlichsten Rand der Welt bis zur südlichsten Ecke
erstreckte sich die Nacht gleichermaßen.
Und
auch über eine Höhle, die unweit entfernt von Anduras, der
Hauptstadt des Landes, beziehungsweise von der Hauptstadt der Welt,
denn Notrak Husch war nicht sonderlich groß, gelegen war.
Auf
einer felsigen Anhöhe befand sie sich und war umgeben von alten
knorrigen Bäumen und Ranken, welche durch ein verwirrend ineinander
verschachteltes und tief herabhängendes Blätterdach ein zufälliges
Entdecken der Höhle nahezu unmöglich machten. Man konnte sie nicht
einfach finden, man musste schon vorher danach gesucht haben! So
verhielt es sich schon immer mit jener besagten Höhle und niemand
würde etwas in naher Zukunft daran ändern wollen und so würde es
auch höchstwahrscheinlich auf ewig bleiben.
Diese
Höhle war immens groß und ungemein verwirrend verzweigt in Dutzende
von natürlichen Gängen, Katakomben, Abstiegen, Aufstiegen, Höhlen
und Sackgassen. Es gab unzählige Stalagmiten und auch unzählige
Stalaktiten, sie gaben einigen Gängen das wilde Aussehen
aufgerissener Mäuler mit messerscharfen riesigen Zähnen.
Auch
in der Höhle selbst, zumindest in jenen Gängen, Katakomben,
Abstiegen, Aufstiegen, Höhlen und Sackgassen, welche sehr nahe am
Eingang gelegen waren, wich die Helligkeit des Tages schlagartig der
Finsternis der Nacht und mit dem Wechsel dieser Zeiten erwachten die
wenigen Bewohner dieser sagenhaften Höhle.
Um
genau zu sein, waren es drei Fledermäuse. Um genauer zu werden,
waren es drei Spionfledermäuse, in der Fachsprache auch Spionagica
Microchiroptera genannt. Und um alles einmal ganz haargenau zu
schildern: Diese drei Spionfledermäuse waren Meister ihres Fachs.
Sie
waren studierte und ausgebildete Spionfledermäuse, inklusive eines
Diploms der untergründigen Spionageakademie von Anduras und
obendrein waren diese Drei auch noch äußerst praxiserprobt und
erfahren. Zusätzlich sei erwähnt, dass sie Vettern waren und ihre
Namen lauteten Servatius, Siegbert und Stoffel.
Diese
drei hatten noch einen vierten Vetter mit Namen Syracruz, doch zu ihm
hatten die drei Spionfledermäuse schon lange keinen Kontakt mehr. Es
hieß, er sei ein langweiliger Schreiber und Gelehrter geworden, wo
er jedoch seine Dienste anbot, das wussten sie nicht. Er besaß
ebenfalls ein Diplom welches er in der strahlenden Hauptstadt Anduras
erworben hatte.
Tief
in dieser Höhle, in einer der tiefsten Katakomben lag ihre
Schlafstätte. Ein unheimliches Grummeln und Grunzen drang durch die
Dunkelheit der Gänge und eine der drei Fledermäuse, es war Stoffel,
zwinkerte kurz, rollte mit den riesigen, von Wahnsinn erfüllten
Augen und war dann blitzartig hellwach. Sein blassgelber zweiteiliger
Schlafanzug, bestehend natürlich aus einhundert Prozent Baumwolle,
mit den aufgestickten Initialen „ST“ war nur halb zugeknöpft und
entblößte aufgrund des kopfüber-hängens seinen Bauchnabel.
Nun
begannen diese riesigen Augen unabhängig voneinander den Raum zu
durchblicken.
Zur
Erklärung des „unabhängig voneinander“ Blickens: Während sein
rechtes Auge mehr nach oben rollte und ein wenig nach rechts außen
driftete, bewegte sich sein linkes Auge dem rechten entgegen. Also
das linke Auge rollte mehr nach innen, streifte den Blick des rechten
und nahm überwiegend die Decke und die hintere Wand in Augenschein,
während sich das rechte Auge auf den groben runden Eingang und den
Boden der Katakombe konzentrierte. Da Stoffel selbst allerdings
kopfüber an der Decke hing, wie es für Fledermäuse üblich ist,
sei jedoch gesagt, dass aus subjektiver Sicht eigentlich das linke
Auge nach unten und nach links rollte, das rechte Auge hingegen
dennoch nach innen glitt. Und da Sie jetzt wahrscheinlich noch viel
verwirrter sind als ich, reduziere ich die Aktivitäten von Stoffels
Augen mal auf ein erforderliches Minimum. Kurzum: Ein Auge
betrachtete die Decke und die hintere Wand, das andere Auge schaute
sich den Eingang und den Boden an. Basta!
Und
dann, wie ein Blitzschlag, zuckten beide Augen synchron in ein und
dieselbe Richtung, denn Stoffels überaus gutes Hörvermögen hatte
den Ursprung jenes unheimlichen Grummeln und Grunzens aus dem Anfang
des dritten Abschnitts dieses Kapitels ausgemacht.
Nicht
eingeweihte Personen hätten diese Geräusche wahrscheinlich für das
hungrige Gebrüll eines ausgewachsenen Drachens gehalten, der Feuer
spuckend und zähnefletschend mit seinem mehrere hundert Tonnen
schweren und fast einhundert Meter langen schuppigen Körper durch
die Höhle stampfte. Stoffel hingegen war ein sogenannter
Eingeweihter und er wusste ganz genau, dass jenes Grummeln und
Grunzen einen ganz bestimmten Ursprung von relativ harmloser Natur
hatte. Jenes Grummeln und Grunzen war nichts anderes als das
Schnarchen von Siegbert.
Im
Gegensatz zu seinen beiden Kollegen schlief Siegbert auf einer
Baumwolldecke am Boden und nicht kopfüber von der Steindecke herab.
Dies hatte zwei Gründe:
Erstens
war Siegbert nicht mehr der schlankste, sein Körper glich eher dem
eines Gummiballs mit einem runden Kopf obendrauf und kleinen ledrigen
Flügeln an den Seiten. Irgendwann war es zu oft vorgekommen, dass
Siegbert im Schlaf von der Decke fiel und er es somit aus
Sicherheitsgründen vorgezogen hatte am Boden zu schlafen.
Die
Tatsache, dass er damit einige überaus klare evolutionäre
Wahrheiten in eine trübe undurchdringbare Suppe tunkte, scherte ihn
herzlich wenig.
Der
zweite Grund für Siegberts Liegend-am-Boden-schlafen-Exil waren
seine Nebenhöhlen. Die Schnarchgeräusche, die er kopfüber von der
Decke hängend von sich gegeben hatte, glichen nicht dem Gebrüll
eines Drachen. Sie glichen eher einer Ansammlung von tausend Drachen,
die sich tosend und brutal mit allen Kreaturen der Welt eine
erbarmungslose Schlacht lieferten. Und dabei zusätzlich unter Asthma
litten!
So
lag also Siegbert auf der Seite schlafend auf seiner Decke, wobei er
einen ähnlichen Schlafanzug wie Stoffel trug, mit den Unterschieden
jedoch, dass seiner knallrot war, eher aus Plüsch zu bestehen schien
und die Initialen „SI“ auf der Brust trug.
Stoffel
runzelte die schmale Stirn. Viel Stirn blieb nebenbei bemerkt nicht
übrig, wenn man als Fledermaus rollende Augen wie Tennisbälle
hatte. Mit einem leisen hysterischen Quieken wandte er sich zur
rechten Seite, beziehungsweise zur linken Seite aus subjektiver Sicht
gesehen, an Servatius, den unangefochtenen Anführer der
Spionfledermäuse. Doch was Stoffel da anstelle seines Chefs
erblicken musste, war mehr als grausig.
Neben
ihm hing zwar noch Servatius pechschwarzer samtener Schlafanzug ohne
aufgestickte Initialen, das lag unter
seiner Würde,
allerdings schien sich Servatius selbst in Luft aufgelöst zu haben.
Oder war er etwa über Nacht vertrocknet und hing als staubige Leiche
im Inneren des Schlafanzugs?
Mit
zitternden Flügeln ergriff Stoffel einen der Ärmel, zog ihn etwas
auseinander und spähte hinein. Im Inneren des schwarzen Schlafanzugs
war es finster und die Fledermaus konnte keinerlei Hinweise auf eine
Existenz von Servatius finden. Angstschweiß perlte ihm über die wie
bereits erwähnt sehr schmale Stirn. Er schob seine kleine Schnauze
in den Ärmel hinein und flüsterte: „Hey, Chef! Bist du da
drinihihi?“
Stoffel
hatte das große Problem, dass er sein ewiges Gekicher nur schwer
abstellen konnte. Eigentlich konnte er es überhaupt nicht abstellen.
Selbst in Situationen allergrößter Not und Angst entfleuchte der
kleinsten der drei Fledermäuse immer wieder ein ungewolltes Kichern.
Man könnte es damit erklären, dass Stoffel einfach die ultimative
Frohnatur war. Vielleicht hatte er auch eine extrem seltene und
darüber hinaus extrem unbekannte Kicherkrankheit. Aber am ehesten
zutreffend war wohl die Vermutung, dass Stoffel einfach nur einen
Knall hatte!
„Wasss
machssst du da???“ zischte plötzlich eine leise flüsternde Stimme
durch die Höhle. Doch die Stimme verursachte einen solchen Hall und
flößte einem eine solche Ehrfurcht ein, dass Stoffel laut
aufquiekte vor Angst und Schreck und seine kleinen Klauen an der
Decke den Halt verloren. Es war ein überaus kurzer Flug mit einer
darauffolgenden weichen Landung, denn Stoffel landete mit dem Kopf
voraus direkt auf Siegberts dickem Bauch. Ein lautes Pfmpf!
ertönte, gefolgt von einigen Grunzlauten, die vom Erwachen der
dicken Fledermaus kündeten. Stoffel schien einige Sekunden mit einem
ungewollten Kopfstand auf Siegberts Bauch zu verweilen, dann knickte
die Fledermaus langsam nach vorn und knallte mit einem noch lauteren
Pardauz!
in voller Länge auf den Boden. Doch sofort schoss der kleine Körper
wieder in die Höhe und tanzte und zappelte und überschlug sich
hysterisch.
Die
zischende Stimme gehörte Servatius, dem Anführer des Trios. Seine
Stimme zischte immer, sie war leise und bedrohlich, mit einem
Kratzen, welches klang wie ein rostiges Messer auf einer
Schiefertafel. Servatius war bereits lange wach und bereitete das
Frühstück für seine Vettern.
„Frühüstück,
mein Dickerchenihihi!“ jauchzte Stoffel, ergriff seinen rundlichen
Kollegen am Kragen des Schlafanzuges und rüttelte ihn. Nun war auch
Siegbert endgültig wach. Träge und lauthals gähnend setzte er sich
an die Kante seiner Schlafstatt und rieb sich die kleinen
Schweinsäuglein.
Servatius
indes, zweifelsohne der Intelligenteste und auch Bösartigste des
Trios und aus diesen Gründen auch der unangefochtene Anführer,
schlug mit bösen Blicken einige Eier in die Pfanne. Um den Hals trug
er eine schneeweiße Schürze, auf der folgender Schriftzug prangte:
„Hier kocht der Chef
persönlich!“ Und
weiter drunter stand in etwas kleineren Lettern: „Wenn
es dir nicht schmeckt, dann lernst du mich kennen!“ Wenn
man Servatius schon länger kannte, so war dies eine Drohung, die
nicht ausgesprochen werden musste.
Nun,
wenn man Servatius nicht
kannte, so reichte ein Blick in seine blutunterlaufenen Augen und die
kleinen Blitze des Zorns und der Boshaftigkeit, welche förmlich aus
ihnen herausschossen, um diese schriftliche Drohung seiner
Kochschürze überaus ernst zu nehmen!
Nun
trafen seine zornigen Blicke Stoffel und Siegbert und brachten die
beiden augenblicklich zum Verstummen.
„Ssstoffel!“
zischte ihr Anführer. „Mach dich nützzzlich und hol die Zzzeitung
herrrein!“
Augenblicklich
nickte Stoffel übertrieben und hüpfte aus der
Wohn-Schrägstrich-Schlaf-Schrägstich-Küchenhöhle hinaus durch die
Gänge des Labyrinthes zum Eingang. Dort angekommen sah sich das
kleine Wesen flugs um, dann erblickte Stoffel die von einem dünnen
Bändchen zusammengehaltene gerollte Tageszeitung am Eingang der
Höhle und griff zu.
Auf
dem Deckblatt der Zeitung befand sich ein selbstklebendes Etikett mit
folgender Aufschrift:
Adressiert
an:
Die
große Höhle in der Nähe von Anduras
(Felsige
Anhöhe, zwischen den Bäumen)
Hinweis
für den Boten:
Suche
danach, dann wirst du sie finden!
Das
Abonnement für die „Morgengazette
von Anduras und auch ganz Notrak Husch“
hatte Servatius in die Wege geleitet und pünktlich brachte jeden
Morgen ein berittener Bote, manchmal auch ein Bote zu Fuß, die
neueste Ausgabe des Tages zur Höhle.
Und
immer fand der Bote die tägliche Bezahlung, ein Kupferstück, auf
einem kleinen flachen Felsen neben dem Eingang zur Höhle.
Manch
ein Bote hatte sich über diese Begebenheiten gewundert, schließlich
gab es keinen Briefkasten und auch keinen Klingelknopf, nicht mal ein
Namensschild oder eine Hausnummer an der Höhle, doch die meisten
begnügten sich damit, das Kupferstück auf dem flachen Felsen zu
finden und an sich zu nehmen. Ware geliefert, Bezahlung erfolgt.
Dennoch
kam sich fast jeder Bote durchaus dämlich vor, einer verlassenen
Höhle eine Zeitung zu liefern. Einige befiel die Neugier, sie
riskierten Blicke ins Dunkel, doch niemand hatte jemals auch nur
einen Fuß in die Höhle gesetzt.
Wie
also jeden Abend, wenn die Sonne untergegangen war, holten die
Fledermäuse die Tageszeitung hinein. Servatius schlug sie am
Frühstückstisch auf und wartete darauf, dass das Wasser für seinen
morgendlichen, beziehungsweise abendlichen, wobei die Bedeutung
dieser Aussage für Nacht aktive Tiere natürlich nicht so ganz
passend wäre, Kaffee kochte.
Stoffel
saß ihm gegenüber und schlang raubtierhaft Spiegeleier in sich
hinein, während Siegbert im hinteren Teil der Höhle hilflos umher
hüpfte.
Sein
Kopf war in einen Ärmel des Schlafanzuges gestopft, sein dicker
Bauch wackelte nackt auf und ab, während beide Arme scheinbar den
Weg in den zweiten Ärmel des Plüschoberteils suchten. Manchmal
torkelte Siegbert, manchmal stolperte er und manchmal fiel er fast
hin. Ungrazil und tollpatschig mutete die dicke Fledermaus wie ein
Walross beim Ballettunterricht an. Servatius schnaufte genervt und
sichtlich am Ende seiner Geduld.
„Sssiegberrrt!
Wasss sssoll diessserrr Unsssinn?“ zischte er und seine stechend
roten Augen fixierten Siegbert. Doch dieser nahm den vorwurfsvollen
Blick nicht wahr, war er doch erblindet mit dem Kopf im Ärmel
gefangen. Nur ein gedämpftes „Der Flafanfug greift mif an!“
drang aus dem plüschigen Ärmel hervor. Stoffel prustete
Spiegeleistücke aus seinem Mund heraus.
„Ihihich
setze auf einen K.O.-Sieg für den Schlahahafanzug, hihihihi!“
schnappte er, doch ein ebenso zorniger Blick wie ihn zuvor Siegbert
erntete, oder ernten sollte, er konnte ihn ja nicht sehen,
erwischte nun Stoffel.
Mit
einer ruckartigen Bewegung schmiss Servatius die Zeitung auf den
kleinen hölzernen Frühstückstisch und hopste zu Siegbert. Mit
einem einzigen Streich seiner Krallen riss er das Schlafanzugoberteil
Siegberts in Fetzen und die dicke Fledermaus war frei. Siegbert sog
heftig Atem ein.
„Uff,
oh, danke, Chefchen, beinahe wäre ich erstickt! Es war schrecklich,
ich sah bereits das Licht am Ende des Tunnels!“ schnaufte Siegbert
und atmete immer schneller und hysterischer. Servatius rollte
entnervt mit den blutroten Augen.
„Sssetz
dich! Isss etwasss!“ fuhr er Siegbert an und widmete sich wieder
der Zeitung. Das ließ sich Siegbert natürlich nicht zweimal sagen.
Mit gesenktem Kopf und etwas errötet vor Scham gehorchte Siegbert
augenblicklich. Er und Stoffel aßen wortlos ihre Spiegeleier und nur
gelegentlich blickten sie zu Servatius herüber. Doch dieser runzelte
verdrossen die Stirn.
„Hmmm.
Die Ssstellenanzzzeigen. Wirrr brrrauchen eine Arrrbeit, Jungsss!
Unsss gehen langsssam die Kupferrrssstücke ausss!“ zischte der
Anführer und seine kleinen bösartigen Augen überflogen die
Stellenangebote.
„Hm.
Hierrr issst wasss: Jungerrr
Zzzauberrrssschülerrr sssucht Eulenerrrsssatzzz fürrr Botengänge
und ähnlichesss. Zzzu melden bei Harrry P., Grosssbrrritannien.
Hm. Nicht bössse genug.“
Nachdenklich
suchte Servatius weiter, während Stoffel und Siegbert wortlos
Spiegelei auf Spiegelei in sich hineinstopften.
„Wass
issst hierrrmit: Halbtagsssjob
alsss Riesssenadlerrr unterrr dem Kommando einesss
wiederrrgekehrrrten Blitzzzweissszzzauberrrersss zzzwissschen
Vorrrnerrrde und Hintenerrrde, gute Bezzzahlung inklusssive
Urrrlaubsssgeld und jährrrlichem magissschen Rrring. Bewerrrbungen
an Prrradagassst den Zzzauberrrerrr. Hm.
Wirrr sssind keine Adlerrr. Zzzu dumm. Warrrum sssuchen denn nie die
Bösssen neue Angessstellte?“
Stoffel
und Siegbert zogen es auch weiterhin vor, keine Kommentare abzugeben,
obwohl sich Stoffel so manches leises Kichern nicht verkneifen
konnte. Manchmal sprudelte es aus ihm heraus. Stoffel musste einfach
lachen, er konnte nicht anders. Doch dann hellten sich Servatius
Gesichtszüge auf. Er schien etwas Passendes gefunden zu haben. Mit
offenen Mündern und großen Augen starrten Siegbert und Stoffel ihn
an. Niemand sagte ein Wort, als der Anführer der Spionfledermäuse
den Text der besagten Stellenanzeige überflog. Dann zog Servatius
die Mundwinkel nach oben. Er lächelte. Er grinste. Und nein, zu
lachen begann er nicht. Er begnügte sich lediglich mit einem
Grinsen.
„Hörrrt
gut zzzu, Jungsss: Bössser
Hexxxenmeisssterrr sssucht ebenssso bössse Lakaien fürrr
Botengänge, Infiltrrrationen und Ssspionage allerrr Arrrt. Meldet
euch im Turrrm desss bösssen Hexxxenmeisssterrrsss auf dem
Finsssterrrssspitzzz.
DASSS ISSST ESSS!“ rief Servatius freudig und euphorisch, was
durchaus selten genug bei ihm vorkam. Siegbert und Stoffel glaubten
sogar eine düstere orchestrale Symphonie zu vernehmen, die aus dem
Hintergrund heraus seinen euphorischen Satz untermalte.
Diese
überschwängliche Reaktion riss Stoffel und Siegbert sodann von
ihren Hockern, Spiegeleier flogen in der Höhle umher und Servatius
stellte sich in Herrscherpose auf seinen Hocker, eine Kralle hoch in
die Luft erhoben.
„Packt
eurrre Sssachen, wirrr brrrechen sssoforrrt zzzum
Finsssterrrssspitzzz auf!“